Schon in wenigen Jahren wird es keinen Schulbibliothekar an der Latina A.H.F. mehr geben, so schaut es momentan aus. Vielleicht wird es auch bald keine Schulbibliothek mehr geben, wenn es ganz schlimm kommt. Das Bild von in alle Winde zerstreuter Bücher beschäftigt mich sehr. Deswegen mache ich mir jetzt bereits Gedanken, wie es mit einer Schulbibliothek an unserer Schule nach mir weitergehen könnte. Das sind keine offiziellen Planungen, sondern lediglich vorausschauende Gedanken bibliothekarischer Natur:
Eins: Werden Schulbibliotheken überhaupt noch gebraucht? Brauchen wir an der Latina noch eine Schulbibliothek?
Beantworten wir dies mit „Nein“, kann ich beruhigt in die Rente gehen, evt. sogar frühzeitig und muß mir keine Gedanken machen, ob ich eine Leerstelle hinterlasse, denn ich bin bereits ein Fossil, ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit, in der Bücher gedruckt und gelesen wurden. Wir haben inzwischen individuelle Endgeräte, die von vielen Schüler/innen zur Recherche und zur Lektüre genutzt werden können. Schon jetzt ist die Schulbibliothek mehr Aufenthaltsraum als schulische Arbeitsstätte. In Deutschland werden Schulbibliotheken wie der ganze Bildungsbereich ohnehin vernachlässigt. Eigentlich können wir die Gedanken in diesem Fall nun beenden. Wie Schulbibliothek und Bestand am Ende abgewickelt werden, kann nicht unser Problem sein.
Zwei: Nehmen wir entgegengesetzt dazu an, dass die Schulbibliothek von der Latina behalten werden soll und wir uns Gedanken um ihre Zukunft machen dürfen. Wie soll die Schulbibliothek der Zukunft aussehen? Zumal, wenn wir annehmen müssen, dass es keine Bibliothekarin, keinen Bibliothekar geben wird.
Der Ist-Zustand: Bislang ist die Schulbibliothek eine betreute Büchersammlung + Aufenthaltsraum. Es ist eine Menge los, es wird gelesen, es werden Bücher ausgeliehen. Computer und Arbeitsraum stehen zur Benutzung bereit. Der Bestand ist mit fast 24.000 Medieneinheiten (überwiegend Bücher) unverhältnismäßig groß. Es ist eine sehr lebendige Bibliothek, die gut von den Schüler/innen angenommen wird, auch wenn die Benutzung und die Akzeptanz durch die Lehrer/innen ausbaufähig wäre. Ich glaube, viele von den jungen Kolleg/innen wissen gar nicht, welche außergewöhnliche Situation wir an der Schule haben. Vermutlich werden sie sie auch gar nichts vermissen. Manchmal wirkt die Schulbibliothek wie ein Fremdkörper im Schulbetrieb. Oder ist das nur mein Eindruck? Hoffnung macht allerdings, dass an anderen Schulen in der Stadt gerade versucht wird, wieder Schulbibliotheken aufzubauen. Dies mit viel schlechteren Startbedingungen, als wir sie hatten.
Ohne die Mitarbeit der Schüler/innen geht in Zukunft gar nichts
Eine Schulbibliothek ist mehr als eine geordnete Bücher/Mediensammlung. Sie lebt von ihren Benutzern. Sie muß eine lebendige Bibliothek sein. Die Benutzer/Leser/innen sind in diesem Fall Kinder und Jugendliche. Das können auch die Lehrer/innen sein, Eltern und Ehemalige. Das heißt aber auch, wenn die Benutzer/innen der Schulbibliothek entscheiden, dass die Schule ihre Resourcen nicht mehr für eine Mediensammlung „verschwenden“ sollte, sind die Tage gezählt (s.o.). Allerdings ist der Umkehrschluss selbstverständlich, dass bei einer Entscheidung für eine Schulbibliothek auch eine Verantwortung der Schulgemeinschaft für die Schulbibliothek besteht. Förderverein und Schulleitung haben sich sehr engagiert dazu bekannt. Bei einer hauptamtlichen Kraft war es bislang leicht, diese Verantwortung zu delegieren. Aber das fällt in der Zukunft aus, wie bereits oben ausgeführt. Wie soll es dann weitergehen? Die Sorgen haben wir bereits artikuliert.
Die Zukunftsaussichten: Zwei Gruppen werden also die Zukunft der Schulbibliothek garantieren müssen:
- Das sind die Lehrerinnen und Lehrer, die (noch) mehr Interesse zeigen müssen für die Grundlage unserer Kultur, für das geschriebene Wort. Wer nicht möchte , dass Schüler/innen künstliche Intelligenzprogramme wie das momentan aktuelle ChatGPT benutzen (Zu verhindern wird es ohnehin nicht sein, denn die Mogelkultur der Schülerschaft geht immer neue und aktuelle Wege!), muss andere Möglichkeiten aufzeigen. Z.B. wie kann eine Schulbibliothek zum Beispiel mehr in den Unterricht einbezogen werden: Als Recherchierraum, als Arbeitsraum, als Raum, um Inhalte zu diskutieren. Es kann aber auch ein Raum sein, um für einen Moment Stille und Ruhe zu haben. Natürlich! Da ist noch viel Luft nach oben. Eine Schulbibliothek im Dornröschenschlaf, auch wenn ich eben den Ruheaspekt mitaufgeführt habe, nützt der Schule gar nichts, denn die abgeschlossene Tür mit dem Schild „Schulbibliothek“ ist die Karikatur einer Schulbibliothek. Stemmen können Lehrer/innen die Aufgabe Schulbibliothek allerdings nicht im Alleingang. Sie können, sollen, müssen unterstützen! Die Hauptlast/freude wird eine andere Gruppe tragen müssen:
- Die zweite und noch wichtigere Gruppe als die gestressten und vielbeschäftigten Lehrer/innen sind die Schülerinnen und Schüler. Ohne ihre Mitarbeit wird in Zukunft gar nichts mehr gehen. Bedeutet das eine Renaissance der Bibliotheks-Arbeitsgemeinschaft? Wie eng oder wie locker die AG oder evt. sogar mehrere AGs sich zusammensetzen, das ist einerlei. Doch es muß sich in Zukunft ein Arbeitskreis aus Schülerinnen und Schüler zusammenfinden, in diesem oder im nächsten Schuljahr spätestens, sonst sehe ich schwarz. Denn selbst wenn es eine Nachfolge für mich geben sollte, was, wie gesagt, unwahrscheinlich ist, kann die Bibliotheks-AG bereits klarstellen, wohin der Weg gehen soll. Es muß nichts neu erfunden werden. Es gibt bereits eine funktionierende Bibliothek, die weiter ausgebaut, neu gestaltet, mit frischen Ideen gefüllt werden kann.
Ich weiß nicht, ob die Bibliotheks-AG der Weisheit letzter Schluss ist. Gibt es eine andere Lösung? Eins weiß ich jedoch sicher: Findet sich nicht eine Möglichkeit, die Schulbibliothek zu erhalten und lebendig weiterzuführen, räume ich am letzten Arbeitstag den Schreibtisch auf, mache das Licht aus und schließe die Tür ab. Das war es dann!
Euer nachdenklicher Schulbibliothekar