In die Bücherzelle geräumt

Es sind zwei Bücher, die am Meer spielen. Eins habe ich, wie bereits erwähnt, in die Bücherzelle am Strand der Ostsee geräumt. Denn mit Der Friseur und die Kanzlerin von Mendoza, Eduardo; Roman. Übersetzung: Schwaar, Peter. Originaltitel: El enredo de la bolsa o la vida, 288 S. , in deutscher Sprache.  2013  konnte ich überhaupt nichts anfangen. Trotz des amüsanten Titels ist das Buch in keiner Weise lustig. Es dreht sich vieles um den Friseur, der im Dreck und ohne Kunden haust, zwischendurch ein Abziehbild von Angela Merkel vor einem Terroristen rettet und von Chinesen über das Ohr gehauen weiter im Elend leben muss. Leider ist das Buch als Parodie mißlungen und als Fabel über Barcelona völlig an der momentanen Wirklichkeit vorbei geschrammt. Mendoza lebt so sehr in der eigenen Welt, dass er noch nicht einmal das Rauchverbot in Bars und Restaurant realisiert hat. Vielleicht sollte einfach wieder mehr durch seine eigene Stadt spazierengehen und sich nicht in selbstgefälligen Sprachgebilden selbst befriedigen, dann wäre vielleicht der Roman amüsanter geworden, vielleicht … Ab in die Bücherzelle am Meer und für jemanden abgelegt, dem das Buch besser gefällt.

Ebenfalls am Meer spielt Kruso von Seiler, Lutz; Roman. 484 S., in deutscher Sprache. 2014, genauer gesagt auf der Insel Hiddensee mitten in der Ostsee. Es ist ein für mich wichtiges Buch, nicht, weil es bereits etliche Preise abgeräumt hat, sondern weil es gute Literatur ist, die ungeheuer gut lesbar ist. Kurz, es ist spannend! Leider habe ich den Verdacht, dass Kruso deswegen kurz oder lang als Deutschlehrers Liebling elendig als Schullektüre verenden wird, aber damit muss der Autor leben, nicht ich. Aber wäre ich 30 Jahre jünger gewesen, hätte ich das Buch sogar richtig „geil“ gefunden, so aber kam bereits während des Lesens die Kritikschere des abgeklärten Lesers hervor. Die Hauptperson Edgar, genannt Ed., flieht aus dem Germanistikstudium in Halle an der Saale auf die Insel Hiddensee und wird dort Saisonkraft, Abwäscher im Restaurant „Zum Klausner“. Dort lernt er Kruso kennen, Alexander Krusowitsch, Deutschrusse, der die Saisonkräfte der Insel, die Esskaas, organisiert und sich um die „Schiffbrüchigen“ kümmert, ja selbst beste Beziehungen zu den Grenztruppen unterhält, der ungekrönte König der Insel. Obwohl auch nur selbstgewählter Abwäscher im „Klausner“ ist Kruso unangreifbar, das sein Vater sowjetischer General ist. Selbst die Herren von der „Hygiene“, die gelegentlich unauffällig die Sachen von Reisenden durchsuchen, wagen sich nicht an ihn heran. Beide, Ed und Kruso, trauern zwei Frauen hinterher: Eds Freundin G., die in Halle von der Straßenbahn überfahren worden ist, und Sonja, Kruso Schwester, die über die Ostsee floh und wahrscheinlich ertrank, werden durch ein Foto zu einer einzigen Frau, zu einem romantischen Traumbild. Alles endet mit dem Zusammenbruch der DDR und setzt sich kurz fort mit Edgars Suche nach den Überresten von Sonja in Dänemark. Es sei verraten: Sonja findet er nicht, aber jemand anders.

Oh jeah! Edgar, das ist natürlich der wiederaufgestandene Edgar Wibeau aus den „Neuen Leiden des jungen W.“ und er leidet immer noch. Stilistisch erträgt er sein Unglück zwischen Abwasch, Sex und Trauer um G.  im grandiosen Finale Furioso der DDR-Literatur. Ja, man möge mich steinigen, pfählen und vierteilen. Aber „Kruso“ ist für mich der letzte DDR-Roman. Einer von den guten! Sogar vor den unvermeidlichen Anspielungen und dem Lesen zwischen den Zeilen hat Lutz Seiler nicht zurückgeschreckt. Ich hätte ihn knutschen können vor Glück! Edgar und Kruso das sind Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf Hiddensee, Abenteuer auf dem Mississippi des Handabwasches, echte Männer! Deswegen Mädels, seid gewarnt. Frauen sind in „Kruso“ nur Traumbilder (G. und Sonja) oder Sexobjekte (C. und die anderen „schiffbrüchigen“ Frauen, die mit Ed verkehren, damit sie eine Unterkunft für die Nacht bekommen). Alle anderen Frauen spielen eine untergeordnete Rolle oder sind schlicht unsichtbar, wie die „unsichtbare Monika“, die sich im „Klausner“ um die Wäsche kümmert. Eine starke Charlie, wie in den „Neuen Leiden“ fehlt dem Roman völlig. Oder ist mit C. Charlie gemeint, der es Edgar endlich „besorgen“ darf. Endlich! Dieter, der Spießer, ist weit weg!

Okay, ich berichtige mich: Kruso, das ist das neoromantische Finale der DDR-Literatur, in dem Frauen keine Rolle spielen, als wären sie von einem anderen Stern, unerreichbar. Selbst das Objekt der höchsten Lust, C., entflieht ins Weitentfernte. Es war eben nur Lust (aus Notwendigkeit), keine Liebe. Krusos Autor lebt in seiner eigenen männlich-romanischen Welt, salzig, männlich, Hiddensee! Dennoch: Nee, Kruso kommt nicht in die Bücherzelle. Kruso bleibt! Auch wir Männer brauchen unsere guten Bücher, sind wir doch alles kleine Romantiker, oder nicht?

Gleichzeitig veröffentlicht auf meinfigaro des MDR

Euer Schulbibliothekar

 

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