Aus dem Reisekoffer geräumt …

100_8728Dieser Sonntag bleibt mir, dann sind für mich die Sommerferien vorbei. Ich bin schon gespannt, ob wir bald in die neue Schulbibliothek einziehen können. Bis dahin räume ich meinen Reisekoffer auf und stelle Euch kurz vor, was ich in den Ferien so gelesen habe. Einiges stammt aus der Schulbibliothek, anderes gehört mir persönlich. Fangen wir an:

Ferber, Marlies: Null-Null-Siebzig : Agent an Bord. Was macht 007 oder einer seiner Kollegen im Ruhestand? James Gerald, Agend des britischen SIS im Ruhestand, der gerade im ersten Kriminalroman die „Operation Eaglehurst“ und ein Altenheim knapp überlebt hat, begibt sich mit seiner früheren Kollegin Sheila Humphrey (67 Jahre) auf eine Mittelmeerkreuzfahrt. Das wäre eine altersgemäße Betätigung, wenn nicht Sheilas Mutter Phyllis (90 Jahre) wäre und wenn nicht der jüngst angetraute Ehemann von Phyllis spurlos verschwindet. Das wird ein neuer Fall für Null-Null-Siebzig. Marlies Ferber gelingt ein typischer britischer Kriminalroman, bei der Unterhaltung und Action nicht zu kurz kommen. Tja, das „Bond-Girl“ mag schon etwas angejahrt sein, trägt aber immer noch Mini-Rock: „Für jedes Problem eine Lösung, James“.

Lassen wir die Rentner und ihre mörderischen Freizeitaktivitäten auf dem Mittelmeer zurück und begeben wir uns in die Schule zurück, allerdings nach Australien. In Bauer, Michael G.: Ismael und der Auftritt der Seekühe, das ich auf dem Weg von Stralsund nach Danzig gelesen habe, geht es genau um das: Was tut ein Junge (noch lange nicht Mann), um sich durch gegen gewältätige Mitschüler durchzusetzen, die erste Liebe zu erobern und dann damit fertigzuwerden, dass der eigene Vater einst ein berühmter Rockmusiker war? „Willkommen in meinem  Alptraum“, so beschreibt es die Hauptperson Ismael, während für den Leser all die Katastrophen seines Lebens ein Lachmuskeln belastendes Vergnügen sind. Tja, lest selbst, ob es Ismael schafft, seine große Liebe Kelly Faulkner zu erobern, und ob es zum Comeback der „Seekühe“ (Band seines Vaters) kommt. Mich hat es gelernt, jeden Schüler im kommenden Schuljahr mit anderen Augen zu betrachten. Zwar ist das Leben kein Roman, aber wir sollten es trotzdem nicht ganz so ernst nehmen. Ich freue mich, wenn ihr genauso einen Spaß wie ich am „Auftritt der Seekühe“ habt.

Eine „lockere Schreibe“ erwartet uns auch mit dem nächsten Roman: Gavalda, Anna: Nur wer fällt, lernt fliegen. Auch hier geht es um Außenseiter. Doch können Billie und Franck von den Problemen von Ismael nur träumen. Denn sie beutelt das Leben in unangenehmste Weise. Als beide auf einer Wanderung in den Cevennen in eine Felsspalte stürzen und auf Rettung hoffen, erzählt Billie „ihrem Stern“ ihr hartes Leben: Aufwachsen in einer Unterschicht-Wohnwagensiedlung, als Kind geschlagen, als Jugendliche ihren Körper verkaufend, ist ihr einziger Freund Franck, der mit einem rechtsradikalen Vater „gesegnet“ ist und sich traut sein Schwulsein zu bekennen. Beide haben einen einzigen Moment in der Schule, als sie in einem Theaterstück bedeutend sind. Es schweißt sie zusammen und gemeinsam gehen sie nach Paris. Aber auch dort wartet nicht nur Glück auf sie. Anna Gavalda ist bei uns mit „Zusammen ist man weniger allein“ bekannt geworden. Dagegen ist „Billie“, denn so heißt der Roman entgegen dem oben aufgeführten dämlichen deutschen Titel im Franz. nur ein Kabinettstückchen, im Café, auf der Hotelterrasse oder am Strand zu lesen. Ich war von „Billie“ sehr berüht, allerdings rührt eine leichte Verstimmung daher, dass ich das Gefühl hatte, bereits das Skript für eine künftige Verfilmung in den Händen zu halten. „Billie“ ist nur eine Skizze, während „Zusammen ist man weniger allein“ ein ganzer Roman war. Schade, denn „Billie“ hätte es verdient!

Wenden wir den Abgründen, die sich in den Felsspalten der Cevennen auftun, den Rücken zu. Wir reisen nach Venedig. Blazon, Nina: Laqua – Der Fluch der schwarzen Gondel ist ein fantastischer Roman, der in unserer Schulbibliothek auszuleihen ist. Ich hatte mir vorgenommen, keine Venedig-Romane mehr zu lesen. Ich habe langsam das Gefühl, Venedig gibt es gar nicht. Es ist eine Erfindung aus unzähligen Romanen und Filmen, eine Kulisse, die nicht beschrieben werden muss, weil allen bekannt. Dennoch möchte ich den „Fluch der schwarzen Gondel“ empfehlen. Zwar reicht er nicht an den „König der Diebe“, dem Venedig-Roman von Cornelia Funke heran, hat aber eine Menge Potential für einen spannenden Nachmittag oder Abend. Außerdem ist es Winter in Venedig und für die Hauptpersonen Kristina und Jan ist es überhaupt nicht angenehm, die Ferien im leeren Hotel ihrer Urgroßmutter zu verbringen. Als plötzlich ein Kind an der regennassen Fassade hochklettert und ins Hotel eindringt, beginnt das Abenteuer. Die Kinder sind einem alten Geheimnis ihrer Familie auf der Spur.

Bleiben wir im Hotel, denn das passt hervorragend zur Ferienzeit. Es gibt sogar hervorragenden Hotelroman, den wir in der Schulbibliothek haben: Irving, John: Das Hotel New Hampshire. Selten beim Lesen so viel gelacht und selten so viel geweint wie bei diesem Roman, meistens beides gleichzeitig. Die Familie des Ich-Erzählers John hat nicht viel Glück im Leben, es gibt sogar ausgesprochen tragische Ereignisse, aber sie machen das Beste daraus und betreiben nacheinander drei Hotels, die immer „Hotel New Hampshire“ heißen. Der Freund der Familie heißt Freud und ist Wiener, aber natürlich nicht „der Freud“. Zu allem Überfluss spielen auch noch zwei Bären mit, Anarchisten, Huren, schwarze Rächer und, und, und … Es ist ein Roman, der sich jeder raschen Zusammenfassung entzieht. Und gerade deswegen ist es so gut. Ich habe mir das „Hotel New Hampshire“ wie einen guten Wein lange aufgespart und nun endlich mit großen Genuß durchlebt und durchgelitten. Wenn ich einmal in diesem oder einen anderen Leben nach Maine komme, werde ich im letzten Hotel New Hamshire anklopfen und schauen, ob es den Gewichtheber John und den Bären Suzie noch gibt. Bis dahin: Bleibt immer weg von offenen Fenstern! Für mich eindeutig der wertvollste und stärkste Roman meines Sommers!

Aus diesem Grunde gibt es nun nur noch leichte Kost. Auch ist Sommerzeit Krimizeit. Koch, Sven: Dünentod klang ganz vielversprechend, erwies sich aber als leichte Actionkost mit den üblichen austauschbaren Protagonisten und einem Kommissar, bei dem schon der Hauptdarsteller einer möglichen Verfilmung feststeht. Schnell weglegen! Kruse, Tatjana: Sticken, stricken, strangulieren hat dagegen nicht nur Komik, sondern auch Originalität. Ich lobe den stickenden Kommissar Seifferheld und seine Taten nicht nur, weil ich auch gerne sticke, sondern auch wegen dem außerordentlich skurrilen Personal. Wenn der Ermittler stickt, muss der Hauptverdächtige natürlich stricken, oder? Die Leiche, schon skelettiert, taucht ausgerechnet beim Umbau der Bausparkasse im Ort auf. Aber auf dem Kommissar kann man in diesem Fall bauen! Viel Spaß beim gutgestickten Krimi!

Am Ende haben wir uns auf langen Autofahrten auch an einem Hörbuch erfreut: Moers, Walter: Die Stadt der träumenden Bücher gelesen von Dirk Bach beinhaltet alles, woran sich Bücherliebhaber erfreuen. Der junge Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz von der Dichterhochburg Lindwurmfeste in Walter Moers Fantasieland Zamonien ist auf der Spur des Autors eines herausragenden Manuskriptes und möchte bei diesem in die Lehre gehen. Er geht deswegen nach Buchheim, der Hauptstadt der Buchkunst Zamoniens, wo er den Autor vermutet. Stattdessen aber wird er in die Katakomben Buchheims verschleppt und muss dort um sein Leben fürchten, bis der den Schattenkönig trifft. Aber mehr wird nicht verraten. Genial wird das Werk um lebende, riesige, gefährliche usw. Bücher von Dirk Bach, der so intensiv liest, dass einem in den Katakomben Buchheims wirklich Angst und Bange wird. Hinter jeder Ecke könnte doch ein Bücherjäger lauern, oder? Ich kenne Moers seit seinen Tagen bei der Titanik und bin mit seinem „Blaubär“ nie so richtig warm geworden. Seine ironische Abrechnung mit Buchmarkt und Kommerz hat mir allerdings gefallen. Und gibt es nicht ohnehin so eine Haifischmade namens Amaz.., die nach der (Buch-)Weltherrschaft strebt. Wie prophetisch, Herr Moers, Hut ab!

So, nun aber allen einen guten Start ins neue Schuljahr und bitte nicht den Sitzkissenwettbewerb vergessen!

Euer Schulbibliothekar

 

 

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