Sind Sie der Nachkomme Goethes oder Attilas?

In der Nacht vom 25. auf den 26. August vor genau 100 Jahren verbrannte eine der schönsten Bibliotheken Europas, “ Etwa ein Dutzend Handschriften, 800 Inkunabeln und 300.000 Bücher fielen den Flammen zum Opfer“ (Wikipedia).  Es war das Ende der Universitätsbibliothek von Löwen und das Ende zahlreicher Gelehrten- und Privatbibliotheken.

Alles nur ein Irrtum?

Statt allgemeiner Erinnerung an die Schrecken des ersten Weltkrieg möchte ich also an ein konkretes Ereignis erinnern, quasi etwas Bibliotheksgeschichte. Das Heine-Zitat wurde auf schrecklichste Weise überhöht: Deutsche Truppen, die meinten, sie würden von belgischen Freischärlern angegriffen, sich aber höchstwahrscheinlich gegenseitig beschossen, wie deutsche und belgische Historiker 1958 einvernehmlich feststellten, zerstörten die Stadt Löwen, erschossen über 200 der Einwohner und deportierten weitere 1500 Einwohner in ein Lager.

Romain Rolland, der aus der neutralen Schweiz heraus einen Brief an Gerhard Hauptmann schrieb, fragte: „Sind Sie der Nachkomme Goethes oder Attilas? Führen Sie Krieg gegen Armeen oder gegen den menschlichen Geist?“ Für viele Interlektuelle Europas war dies das Ende Deutschlands als Kulturnation. Deutsche Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller verteidigten dagegen das deutsche Vorgehen.

„Erschießt den Kerl!“

Aus der eigenen Familiengeschichte heraus glaube nicht an einen Irrtum. Wenn Kriegsfreiwillige in den ersten Wochen des Jahres 1914 bereits alle Illusionen verloren, was diesen Krieg betraf, lag dies auch daran, dass sie Befehle erhielten, auf Zivilisten zu schießen, auch wenn diese mit erhobenen Händen vor Ihnen standen. Und wenn die Kindersoldaten, eben noch vor dem Abitur, jetzt im Krieg, zögerten, nahm der Vorgesetzte selbst das Gewehr in die Hand und erschoss einen jungen Familienvater. In Löwen wurden selbst Frauen und Kinder erschossen. Wenn es keinen direkten diesbezüglichen Befehl gab, so schien es doch in der Mentalität des deutschen Offizierskorps verankert zu sein, dass zivile Opfer schulterzuckend eingeplant wurden, Genfer Konventionen hin, Haager Landkriegsordnung her. Der deutsche Offizier ignorierte es und wurde sogar mit Freuden bewußt zum Mörder, weil er es konnte, und degradierte den einfachen Soldaten zum Mittäter, tausendfach! Und schlimmer: War es Terror aus Berechnung, um in Belgien nicht den Hauch eines Widerstandes aufkommen zu lassen?

Dazu noch einen Beitrag der Universität von Löwen, der sich, obwohl in flämisch verfaßt,  lesen läßt, hier klicken …

Euer heute geschichtlicher Schulbibliothekar

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